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Startseite » Blog » Zum Tod von Brandenburgs Ehrenbürgerin Marga Goren-Gothelf
Kurz vor ihrem 99. Geburtstag (16.05.) ist Brandenburgs Ehrenbürgerin Marga Goren-Gothelf verstorben
Am Mittwochmorgen informierten Mitglieder der jüdischen Gemeinde in Brandenburg an der Havel die Stadtspitze über einen großen Verlust:
Gestern verstarb die Ehrenbürgerin der Stadt Marga Goren-Gothelf.
In einem Kondolenzschreiben an die Hinterbliebenen schrieb Oberbürgermeister Steffen Scheller:
Mit Marga Goren-Gothelf ist eine bewundernswerte Frau von uns gegangen, die ihr Schicksal sowie das ihrer Familie und der Jüdischen Gemeinde in Brandenburg an der Havel öffentlich gemacht hat, um die Gräueltaten der Nationalsozialisten nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Ihr Wort als letzte uns bekannte Überlebende des NS-Regimes aus Brandenburg an der Havel hatte Gewicht. Wenn Sie in Schulklassen aus ihrem Leben erzählte, bekamen Anklage, Trauer und Mahnung greifbare Züge. Sie erreichte die Herzen und den Verstand. Sie hat Brücken zu den jungen Generationen ihrer alten Heimatstadt gebaut und nicht zuletzt dadurch die Verbindung zu ihrer Geburtsstadt aufrechterhalten, die sie 1986 – 48 Jahre nach ihrer Deportation – erstmals besuchte, um das Grab ihres Vaters zu sehen.
Es hatte sie viel Überwindung gekostet, an den Ort so vieler Schrecken zurückzukehren, der dennoch ihr Geburtsort war.
Marga Goren-Gothelf wurde am 16. Mai 1925 in Brandenburg an der Havel geboren. Ihre Familie besaß ein Geschäft in der Hauptstraße und ein zweites in der Steinstraße. Sie besuchte in der Stadt mit ihren zwei Schwestern die Schule. Bis 1931 führte sie ein normales Leben. Dann erlebte sie die ersten Boykottmaßnahmen der Nationalsozialisten in der Stadt Brandenburg an der Havel. Jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger wurden ausgegrenzt und spürten am eigenen Leib täglich die Folgen des zunehmenden Antisemitismus. Durch den auch in Brandenburg an der Havel am 1. April 1933 begonnenen „Kampf gegen das Judentum“ konnten sie immer weniger am gesellschaftlichen Leben teilnehmen und auch die wirtschaftliche Situation der Familien verschlechterte sich durch den Boykott jüdischer Geschäfte zusehends.
Marga Goren-Gothelfs Pässe wurden Ende Oktober 1938 durch die Brandenburger Stadtverwaltung und die Polizei eingezogen und man schob sie gemeinsam mit ihrer Mutter und zwei Schwestern nach Polen ab. Sie mussten Ihre Heimatstadt verlassen.
Hinter der polnischen Grenze erhielten sie die Nachricht, dass die britische Regierung aus humanitären Gründen jüdischen Halb- oder Vollwaisen zwischen 13 und 15 Jahren ein Visum geben wolle und für deren Unterbringung in Gastfamilien oder Kinderheimen sorgen würde. Weil ihre Schwester Paula zu diesem Zeitpunkt bereits 17 Jahre alt war, erhielt nur Marga die Ausreisemöglichkeit. Sie musste ihre Mutter und ihre Schwester zurücklassen und gelangten im Februar 1939 über Warschau und Danzig nach Gdynia, von wo aus es per Schiff nach London ging.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges erreichte sie von England aus auf langen Umwegen schließlich Palästina und traf 1947 in Tel Aviv ein. Von dort aus führte sie ihr Weg nach Norden, um ihre älteste Schwester Friedel zu finden, die sie seit 1935 nicht mehr gesehen hatten. Sie fand ihre Schwestern tatsächlich wieder- ihre Mutter und die zweitälteste Schwester Paula hingegen nicht.
Ihre Mutter Helene Chaja war im Vernichtungslager Maidanek ermordet worden und die Spuren von Paula, von der sie 1941 zum letzten Mal etwas gehört hatte, verloren sich im Warschauer Ghetto.
48 Jahre nach ihrer Deportation besuchte Marga Goren-Gothelf 1986 erstmals wieder ihre Geburtsstadt Brandenburg an der Havel, um das Grab ihres Vaters zu sehen.
Mit einer großzügigen Spende ermöglichte sie 2006 umfangreiche Sanierungsarbeiten am jüdischen Friedhof in der Geschwister-Scholl-Straße.
Im Jahr 2008 nahm sie an der Veranstaltung zum Gedenken an die sogenannte „Reichskristallnacht“ teil und 2010 lud die Stiftung Begegnungsstätte Gollwitz sie für Gespräche mit Jugendlichen ein.
Aus dieser Begegnung entwickelte sich eine enge Verbundenheit, die verschiedene Projekte und Besuche zur Folge hatte.
Zwischen 2010 – das Jahr ihres Eintrags in das „Goldene Buch der Stadt Brandenburg an der Havel“ – und 2015 wurden Schülerinnen und Schüler sowie Studierende der Technischen Hochschule Brandenburg Teil ihres Lebens, weil sie sich um die Sicherung der Zeitzeugenaussagen der letzten in Brandenburg an der Havel geborenen Überlebenden des Holocaust verdient machte. Aus den pädagogischen Projekten entstanden auch zwei Filme: „Marga Goren-Gothelf – Ein Flüchtling hat keine Heimat“ und „Marga Goren-Gothelf – Ein Pfad durch die Zeit“.
2015 war Marga Goren-Gothelf das letzte Mal in Brandenburg an der Havel, weil das Reisen mit zunehmendem Alter für sie immer beschwerlicher wurde.
Aber es gibt ja das Internet und die neuen Medien, die es ermöglichten, in Kontakt zu bleiben. So konnte Marga Goren-Gothelf beispielsweise per Livestream am 23. Februar 2022 die Sitzung der Brandenburger Stadtverordnetenversammlung miterleben, die sich in Würdigung ihrer Verdienste für die Aufarbeitung der Geschichte und ihres Beitrages zur Völkerverständigung einstimmig für die Verleihung des Ehrenbürgerrechts an sie aussprach.
Wie auf dieser Urkunde notiert, wollten die Bürgerinnen und Bürger von Brandenburg an der Havel mit der Verleihung des Ehrenbürgerrechts nicht nur ein deutliches Zeichen der Erinnerung und Mahnung setzen, sondern auch die große Achtung und Anerkennung für ihr Lebenswerk zum Ausdruck bringen.
Als Holocaust-Überlebende und Zeitzeugin hatte sie in den vergangenen Jahren viele Brücken zwischen Israel und ihrer Geburtsstadt Brandenburg an der Havel gebaut, über die schon viele junge Menschen gegangen sind und noch viele gehen werden.
Als außergewöhnlicher Mensch und herausragende Geschichts-Botschafterin wird Marga Goren-Gothelf uns stets in guter Erinnerung bleiben. Wir werden sie immer in ehrendem Gedenken bewahren,
versicherte Oberbürgermeister Steffen Scheller Marga Goren-Gothelfs Familie.
Quelle: Verwaltung

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